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Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeförderung

Christopher Kofahl , Alf Trojan

(letzte Aktualisierung am 06.07.2025)

Zitierhinweis: Kofahl, C. & Trojan, A. (2025). Selbsthilfe, Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeförderung. In: Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BIOEG:Q4-i105-3.0

Zusammenfassung

In der gesundheitsbezogenen gemeinschaftlichen Selbsthilfe werden die Kompetenzen von Menschen mit Erkrankungen und Behinderungen und ihrer Angehörigen vereint. Impulsgeber für Selbsthilfegruppen waren ursprünglich insbesondere medizinische und rechtliche Informationsdefizite, mangelnde Patientenorientierung sowie der Wunsch nach psychosozialer Unterstützung und Kontrollgewinn. Heute ist die Selbsthilfe als vierte Säule des Gesundheitswesens etabliert, sozialrechtlich verankert und wichtige Akteurin in Politik und Versorgung.

Schlagworte

Selbsthilfegruppe, Selbsthilfeorganisation, Empowerment, Patientenvertretung, Patientenbeteiligung


Selbsthilfe dient der Bedarfsdeckung, Bedürfnisbefriedigung oder Beseitigung von Defiziten jenseits der durch staatliche oder marktwirtschaftliche Aktivitäten vermittelten Fremdhilfe. Mit Beginn des industriellen Zeitalters entstanden die sogenannten Arbeiterselbsthilfekassen als Vorläufer der heutigen Krankenkassen. In anderen Bereichen behauptete sich die Selbsthilfe über lange Zeit als selbstverständliches Prinzip, so z. B. bei der Wohnungsversorgung. Hier gab es immer schon ein starkes Element der selbstorganisierten Errichtung von neuen Bauten und der Instandsetzung von Altbauten. Dies geschah und geschieht immer noch vor allem durch Wohnbau-Genossenschaften.

Die Anfänge der Selbsthilfe in der Gesundheits- und Sozialpolitik

Seit etwa Mitte der 1970-er Jahre hat das Prinzip der Selbsthilfe in der Gesundheits- und Sozialpolitik zunehmend größere Bedeutung bekommen. Ursachen hierfür waren

  • die Knappheit öffentlicher Mittel für die Versorgung mit professionell organisierten Dienstleistungen,
  • die zunehmende Kritik an der Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger durch vielfältige Formen professioneller Hilfe,
  • die zunehmende Verrechtlichung, Monetarisierung und Bürokratisierung der staatlich organisierten Hilfen in der Sozialpolitik sowie
  • Versorgungsmängel, Vernachlässigung der psychosozialen Dimension in der Medizin und neue Erkrankungen.

In der Sozialpolitikforschung wurde daraufhin dem System der professionellen Versorgung das zwar weniger sichtbare, aber kaum weniger bedeutungsvolle Laiensystem gegenübergestellt, das im Wesentlichen auf dem Prinzip der Selbsthilfe beruht.

Im Kontext der Selbsthilfe unterscheiden die Akteurinnen und Akteure zwischen den Fachkundigen als Bezeichnung für entsprechend qualifizierte Expertinnen und Experten (Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, Sozialrechtlerinnen und Sozialrechtler etc.) und den Sachkundigen als Bezeichnung für die Betroffenen und ihre Angehörigen ohne formale Qualifikation in einem Indikationsgebiet oder Themenfeld, die dann unter dem Namen Expertinnen und Experten in eigener Sache auftreten.

Diese Rolle ist die wesentliche Legitimation für den Großteil der Patientenvertreterinnen und -vertreter etwa im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und anderen Gremien des Gesundheitswesens (Kofahl, 2019).

Familiäre Selbsthilfe und Ehrenamt

Untersuchungen zur Inanspruchnahme des Systems der gesundheitlichen Versorgung zeigen weltweit ein beachtliches, jedoch kaum genutztes Potenzial von Hilfebereitschaft in der Bevölkerung. Eine überragende Rolle spielt hier die familiäre Selbsthilfe. Vor allem in der Pflege von chronisch kranken und alten Menschen sind Frauen europaweit mit ca. 80 % die wesentlichen Trägerinnen der familiären Selbsthilfe (Lüdecke et al., 2006). Im weit verstandenen Sinne werden der Selbsthilfe auch die unentgeltlichen ehrenamtlich erbrachten Hilfeleistungen im Rahmen von Nachbarschaftshilfe oder im Rahmen der Aktivitäten von Wohlfahrtsverbänden zugerechnet.

Gesundheits-Selbsthilfe wird als Grundlage für neue Ansätze in der besseren Bewältigung von Krankheiten, der Selbstbestimmung des Individuums, der aktiven Beteiligung am Gemeinwesen sowie in der Humanisierung der medizinischen Versorgung betrachtet. Horst Seehofer sprach in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister (1992–1998) gar von der Vierten Säule des Gesundheitssystems (neben der ambulanten und stationären Versorgung sowie dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD)). In jüngerer Zeit wird zunehmend der Beitrag der Gesundheits-Selbsthilfe zur Steigerung des Selbstmanagements und der Gesundheitskompetenz diskutiert und untersucht (Dierks & Kofahl, 2019; Kofahl et al., 2019).

Selbsthilfe kann individuell oder kollektiv in Form solidargemeinschaftlicher Gegenseitigkeitshilfe (Schulz-Nieswandt & Langenhorst, 2015) erbracht werden. Für die Gesundheitsförderung haben sich besonders die kollektiv organisierten Formen der Selbsthilfe als bedeutsam erwiesen (Hundertmark-Mayser et al., 2004).

Die wachsende Bedeutung der Laien- und Selbsthilfe wurde schon im Gutachten 2000/2001 des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2002) deutlich. Band 1 stellt die Nutzerinnen und Nutzer, ihre Kompetenz und Partizipation (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger) im Gesundheitswesen heraus und betont insbesondere ihre hohe Relevanz für die Prozess- und Ergebnisqualität des Gesundheitssystems (Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement).

Selbsthilfe ist nicht voraussetzungslos. Sie bedarf gewisser Kompetenzen, wie z. B. Artikulations- und Kommunikationsfähigkeit. Für Personen mit geringen Kompetenzen können daher Befähigung und Aktivierung zur Selbsthilfe notwendige Unterstützungsleistungen (Empowerment/Befähigung; Sozialraum- und Gemeindeorientierung in der Gesundheitsförderung; Gesundheitskompetenz/Health Literacy) sein. Einzelne Selbsthelferinnen und Selbsthelfer und auch Selbsthilfegruppen vertreten zumeist nicht nur ihre persönlichen Belange, sondern darüber hinaus die Interessen weiterer vom jeweiligen Problem Betroffener. Auf diese Weise fungieren sie oft als Lobby für benachteiligte Menschen und helfen so, in Formen des bürgerschaftlichen Engagements die soziale Ungleichheit in der Gesellschaft zu verringern (Anwaltschaft – Vertretung und Durchsetzung gesundheitlicher Interessen).

Selbsthilfegruppen und -organisationen

Selbsthilfegruppen (SHG) und Selbsthilfeorganisationen (SHO) werden unter den Oberbegriffen Selbsthilfezusammenschlüsse oder Selbsthilfevereinigungen zusammengefasst.

Selbsthilfezusammenschlüsse haben eine große Bedeutung auch für die multisektorale Politik der Gesundheitsförderung. Sie sind an vielen Programmen insbesondere auf lokaler Ebene beteiligt. Sie treten z. B. ein für eine Neuorientierung und Verbesserung von Gesundheitsdiensten, engagieren sich in der sozialen Beratung, kämpfen für eine bessere Lebensqualität im Stadtteil und setzen sich an vielen Stellen für ökologische und Umweltbelange ein.

In den Strukturen der Gesundheitsförderung verkörpern sie das Element von Bürgerbeteiligung und Partizipation (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger; Dierks et al., 2006). Insbesondere die Partizipation gewinnt zunehmend an Bedeutung, nicht zuletzt sichtbar z. B. an Ausschreibungen der EU und Ministerien in der Gesundheitsforschung: Betroffene sind wo immer möglich zu beteiligen.

Selbsthilfegruppen

Mit dem Begriff Selbsthilfegruppen (SHG) wird ein weites Feld von selbstorganisierten Zusammenschlüssen bezeichnet. SHG „sind freiwillige, meist lose Zusammenschlüsse von Menschen, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten, psychischen oder sozialen Problemen richten, von denen sie – entweder selbst oder als Angehörige – betroffen sind. Sie wollen mit ihrer Arbeit keinen Gewinn erwirtschaften. Ihr Ziel ist eine Veränderung ihrer persönlichen Lebensumstände und häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales und politisches Umfeld." (DAG SHG, 1987, S. 5) Im Rahmen der Fördermöglichkeiten z. B. durch die gesetzliche Krankenversicherung nach § 20h SGB V (siehe unten) ist ihnen eine Gewinnorientierung untersagt, ebenso durch das Vereinsrecht bei den überwiegend als gemeinnützig anerkannten Selbsthilfezusammenschlüssen.

In der regelmäßigen Gruppenarbeit betonen SHG Authentizität, Gleichberechtigung, gemeinsames Gespräch und gegenseitige Hilfe. Ein enges Verständnis der SHG begreift diese als „psychologisch-therapeutische Gesprächsgruppen“ (Moeller et al., 1994). Wichtigste Merkmale sind:

  • Alle Gruppenmitglieder sind gleichgestellt.
  • Jede und jeder bestimmt über sich selbst.
  • Die Gruppe entscheidet selbstverantwortlich.
  • Jede und jeder geht um ihrer bzw. seiner selbst willen in die Gruppe.
  • Es gibt eine Gruppenschweigeverpflichtung.
  • Kostenlose Teilnahme.

SHG werden nicht von professionellen Helferinnen oder Helfern geleitet; manche greifen jedoch auf (kommunikations-)psychologische Hilfe bei ihrer Gruppengründung zurück oder ziehen gelegentlich Expertinnen und Experten zu bestimmten Fragestellungen hinzu. Insbesondere Einrichtungen zur Unterstützung von Selbsthilfe (Selbsthilfekontaktstellen und -büros) nehmen dafür eine wichtige Rolle ein. Einer Umfrage von 2013 mit knapp 1.200 SHG zufolge sind die Selbsthilfekontaktstellen mit fast 90 % der am häufigsten genannte Kooperationspartner (Kofahl et al., 2016).

Von den SHG gibt es fließende Übergänge zu Bürgerinitiativen, zu alternativen Selbsthilfe-Projekten und zu bestimmten Formen von Laienhelfergruppen, die häufig aus SHG entstanden sind.

Die Zahl der SHG in der Bundesrepublik wird auf rund 100.000 mit 3 bis 3,5 Millionen Mitgliedern geschätzt. Diese Hochrechnungen gelten trotz allgemein rückläufiger Tendenzen in einigen SHO seit zwei Jahrzehnten als stabil, belastbare empirische Daten existieren allerdings nicht (NAKOS, 2025b). Verschiedenen Repräsentativerhebungen zufolge waren zwischen 8 % und 9 % aller Menschen in Deutschland im Laufe ihres Lebens schon einmal Mitglied einer SHG, etwa die Hälfte von ihnen in ihrer Rolle als Angehörige bzw. Angehöriger eines betroffenen Familienmitglieds (Gaber & Hundermark-Mayser, 2005; FORSA, 2016).

Selbsthilfeorganisationen

Von Selbsthilfeorganisationen (SHO) spricht man, wenn Selbsthilfegruppen einen höheren Grad an organisatorischer Komplexität entwickeln. Am ältesten und bekanntesten sind Selbsthilfeverbände von Behinderten und chronisch Erkrankten, von denen einige Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurden und manche heute über 100.000 Mitglieder haben. Inzwischen gibt es für fast alle chronischen Krankheiten entsprechende Organisationen bzw. Verbände, insbesondere seit den 1990-er Jahren auch zunehmend mehr, meist kleinere SHO für seltene Erkrankungen.

Ein weiterer großer Bereich mit langjähriger Tradition ist das Gebiet der Suchterkrankungen. Letztere haben durch die Ende des 19. Jahrhunderts in den USA entstandenen und nach Europa gelangten Abstinenzvereine die längste Tradition. Obgleich diese Bewegungen mehr oder weniger professionelle Fremdhilfe waren, hatten sie von Anfang an das Prinzip der gemeinschaftlichen Selbsthilfe von Betroffenen integriert (Kofahl et al., 2016).

Auf Bundesebene existieren heute über 300 gesundheitsbezogene SHO (Stand 2025). Der größte Teil ist in Dachverbänden wie der Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE e. V., beim PARITÄTISCHEN oder in der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. organisiert. Für den Bereich der seltenen Erkrankungen ist die ACHSE (Allianz chronischer seltener Erkrankungen e. V.) hervorzuheben, für den Bereich chronisch kranker und behinderter Kinder und deren Eltern das Kindernetzwerk e. V.

Zu ihren Kernaufgaben zählen die Informations- und Aufklärungsarbeit, Gruppeninitiierung und -betreuung, Beratung und Schulung der Mitglieder sowie Lobbyarbeit bis hin zur Patienteninteressenvertretung u. a. im Gemeinsamen Bundesausschuss und seinen Unterausschüssen (nach § 140 SGB V) (Kofahl et al., 2016).

Weitere Aufgaben des Selbsthilfesystems

Weitere Aufgaben des Selbsthilfesystems spiegeln sich in der Neugestaltung der §§ 20c und 140 SGB V wider. Hintergrund ist das im Jahr 2004 in Kraft getretenen GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG): Seitdem haben von Patienten- und Selbsthilfeorganisationen entsandte Patientenvertreterinnen und -vertreter auf Basis des § 140f SGB V ein Rede- und Antragsrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss (GB-A). Die Mitwirkung der Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter ist durch die eigens dafür geschaffene Patientenbeteiligungsverordnung geregelt (Bundesgesetzblatt I., 2013, S. 277).

Darüber hinaus wurde mit dem § 140h SGB V die Position der bzw. des Patientenbeauftragten der Bundesregierung geschaffen. Ihre Aufgaben bestehen in der Wahrung der Rechte von Patientinnen und Patienten, insbesondere auf umfassende und unabhängige Beratung und objektive Information durch Leistungserbringer, Kostenträger und Behörden im Gesundheitswesen sowie auf die Beteiligung bei Fragen der Sicherstellung und qualitativen Verbesserung der medizinischen Versorgung (Partizipation: Mitendscheidung der Bürgerinnen und Bürger).

Mit der größeren Bedeutung der SHG und SHO für das Gesundheitswesen haben auch Versuche anderer Akteurinnen und Akteure (insbesondere der Pharmaindustrie) zugenommen, diese für ihre Interessen einzuspannen. Die Dachverbände der organisierten Selbsthilfe haben aus diesem Grund Leitsätze für die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen mit Selbstverpflichtungscharakter erarbeitet (BAG SELBSTHILFE & Der PARITÄTISCHE Gesamtverband, 2022). Während für die SHG Kontakte zur Industrie bzw. Unternehmen der Privatwirtschaft mit knapp 5 % nur von untergeordneter Bedeutung sind, unterhalten 26 % der SHO Kooperationsbeziehungen mit Unternehmen der Privatwirtschaft (Kofahl et al., 2016).

Kontrovers wird die Bedeutung der neuen Medien (virtuelle oder Online-Selbsthilfe) diskutiert. Sie schaffen neue Formen und zusätzliche Zugänge, werden andererseits aber auch als Bedrohung für die Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen gesehen (Konsumhaltung, Passivität, soziale Isolation). Allerdings sind die SHO in den letzten Jahren den digitalen Entwicklungen gefolgt und bieten allesamt eigene Internetauftritte. Mehr als jede zweite SHO unterhält auch Online-Foren und Angebote in sozialen Medien (Nickel et al., 2020). Mit der Einführung des Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale-Versorgung-Gesetz – DVG). Ende 2019 wurde der § 20h SGB V dahingehend erweitert, dass nun auch rein digitale Selbsthilfezusammenschlüsse durch die gesetzliche Krankenversicherung gefördert werden dürfen, solange sie datenschutzkonform sind und den Anforderungen des GKV-Leitfadens zur Selbsthilfeförderung (GKV-Spitzenverband, 2022) entsprechen.

Selbsthilfeförderung und -unterstützung

Für SHG und SHO existieren in Deutschland verschiedene Unterstützungsinstrumente. Direkte finanzielle Unterstützungen wird unter dem Begriff Selbsthilfeförderung zusammengefasst, fachliche und indirekte Hilfen unter dem Begriff Selbsthilfeunterstützung.

Selbsthilfeförderung existiert zum einen durch die öffentliche Hand (Bund und Länder), zum anderen durch die Träger der Sozialversicherung. Der Bund fördert mit ca. 2 Millionen Euro pro Jahr, die Förderung durch die Länder liegt in der Summe bei ca. 11 Millionen Euro pro Jahr, allerdings mit deutlichen Unterschieden zwischen den Ländern. Vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) kommen 4,4 Mio. Euro/Jahr (2021), von der Deutschen Rentenversicherung Bund ca. 3,6 Mio. Euro/Jahr (§ 31 SGB VI und § 29 SGB IX) und von den regionalen Rentenversicherungsträgern weitere 4,2 Mio. Euro/Jahr (vgl. NAKOS, 2025a).

Seit 1993 gibt es eine Selbsthilfeförderung durch die gesetzlichen Krankenkassen auf der Basis des § 20 Abs. 4 SGB V. Voraussetzung für die Förderfähigkeit war und ist die direkte oder indirekte (d. h. von Angehörigen) Betroffenheit durch eine chronische Erkrankung oder Behinderung entsprechend dem Verzeichnis der Krankheitsbilder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV Spitzenverband, 2022). 2004 wurde dieser Paragraf von einer Kann- in eine Soll-Regelung umformuliert und mit Beginn des Jahres 2008 stringenter in einen eigenständigen Unterparagrafen gefasst (§ 20c SGB V).

Nach Protesten von Vertreterinnen und Vertretern der Selbsthilfe wegen der zu geringen Mittelweitergabe durch die Krankenkassen wurde hierzu eine Muss-Regelung formuliert. Seitdem werden pro Versicherter bzw. Versichertem und Jahr von den gesetzlichen Krankenkassen ein bestimmter Betrag ausgegeben bzw. bei Nichtausgabe im darauffolgenden Jahr zusätzlich an die Institutionen der Selbsthilfe ausgeschüttet.

Das am 1. Januar 2016 in Kraft getretene Präventionsgesetz brachte der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe einen weiteren Förderanstieg. Der § 20c SGB V fand einen neuen Platz im § 20h SGB V, die Selbsthilfeförderung durch die gesetzliche Krankenversicherung wurde von 0,64 Euro pro Versicherten in 2015 auf 1,05 Euro pro Versicherten in 2016 angehoben. Durch die Anpassungsklausel liegt dieser Betrag nun (2025) bei 1,36 Euro, in Summe sind dies 101,4 Millionen Euro. Mindestens 70 % der Mittel sind für die kassenartenübergreifende Pauschalförderung aufzubringen, d. h. für Selbsthilfe-Infrastrukturen wie beispielsweise Geschäftsstellen oder Selbsthilfekontaktstellen und -unterstützungseinrichtungen (siehe unten). Die verbleibenden Mittel sind für Selbsthilfe-Projekte vorgesehen, die die Selbsthilfeakteure beantragen können (GKV Spitzenverband, 2022).

Seit dem 1. Juli 2008 besteht durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz im SGB XI die Möglichkeit einer Förderung „von Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen, die sich die Unterstützung von Pflegebedürftigen, von Personen mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf sowie deren Angehörigen zum Ziel gesetzt haben.“ (SGB XI § 45d) Dieser Paragraf schließt sich an § 45c SGB V an, der die Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen in Form niedrigschwelliger Betreuungsangebote oder Modellvorhaben regelt. Die SGB XI-Fördermittel summieren sich inzwischen auf ca. 5,4 Mio. Euro/Jahr (NAKOS, 2025a).

Die Gesamtförderung der Selbsthilfe durch Bund, Länder und Sozialversicherungen hat somit an den Ausgaben des Gesundheitssystems einen Anteil von rund 0,03 %. Weitere Zuwendungen an die Selbsthilfezusammenschlüsse speisen sich aus Mitgliedsbeiträgen. Auch Spenden und Stiftungen spielen eine erhebliche Rolle. Von herausragender Bedeutung ist hier beispielsweise die Stiftung Deutsche Krebshilfe, die die Bundesverbände der Krebs-Selbsthilfe mit über 4 Millionen Euro pro Jahr fördert.

Selbsthilfe und Gesundheitsförderungspolitik

Eine wichtige Basis der Selbsthilfeunterstützung sind die 288 Selbsthilfekontaktstellen mit zusätzlichen 43 Zweigstellen, die flächendeckend in Deutschland vertreten sind (Stand: Oktober 2023, www.nakos.de). Diese haben sich seit Mitte der 1980-er Jahre zu einem wesentlichen Infrastrukturelement entwickelt. Sie werden hauptsächlich durch die öffentliche Hand und die gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der GKV-Pauschalförderung finanziert und befinden sich in unterschiedlichen Trägerschaften, zumeist die Kommunen und Länder, Vereine oder Wohlfahrtsverbände wie dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Ca. 40.000 SHG sind bei den Selbsthilfekontaktstellen angesiedelt.

In der Begleitforschung von Modellprogrammen für solche Kontaktstellen (Forschungsverbund Laienpotential, Patientenaktivierung und Gesundheitsselbsthilfe, 1987) hat sich gezeigt, dass die Selbsthilfeunterstützung in Städten und Gemeinden bis heute auf drei Säulen beruht:

  • Direkte SHG-Förderung durch Geld und Sachmittel (wie die Bereitstellung von geeigneten Räumlichkeiten bzw. Treffpunkten).
  • Information, Beratung und Kontaktvermittlung durch die Selbsthilfekontaktstellen, abgekürzt als KISS (Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfegruppen) oder mit ähnlichen Kürzeln wie SEKIS, KIBIS, IKOS etc.).
  • Beiräte oder Kuratorien – heute eher Landesarbeitsgemeinschaften und kommunale Gremien – für die Schaffung eines selbsthilfefreundlichen Klimas.

Eine seit Jahren von der Selbsthilfe vorangetriebene Initiative ist das Konzept der Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen (Trojan et al., 2012). Das Netzwerk Selbsthilfe und Patientenorientierung im Gesundheitswesen (SPiG) nimmt sich der Aufgabe an, die Kooperation zwischen Selbsthilfe und Versorgungseinrichtungen zu verbessern und eine stärkere Integration von SHG und SHO in die Versorgungseinrichtungen zu ermöglichen. Je nach Art der Versorgungseinrichtung (Krankenhaus, Reha-Klinik, Arztpraxis, Einrichtungen des ÖGDs) existieren fünf bis acht messbare Qualitätskriterien der Selbsthilfefreundlichkeit. Ein Teil dieser Kriterien ist inzwischen in die Qualitätsmanagementsysteme der Kliniken und Arztpraxen eingegangen (Trojan, 2019). Interessierte Versorgungseinrichtungen können Mitglied des SPiG-Netzwerks werden und sich mit dem Siegel Selbsthilfefreundlichkeit auszeichnen lassen.

Für die inhaltliche und fachliche Ausgestaltung und Weiterentwicklung der Selbsthilfeunterstützung sind verantwortlich die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e. V. (DAG SHG) als Fachverband der Selbsthilfeunterstützung und -förderung sowie die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) als nationales Zentrum. Selbsthilfekontaktstellen sind ein unverzichtbares Element lokaler Gesundheitsförderungspolitik geworden, weil das Prinzip der Bürgerbeteiligung mit Hilfe der Kontaktstellen einfach und umfassend verwirklicht werden kann (Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger; Gesundheitskonferenzen).

Literatur:

BAG SELBSTHILFE & DER PARITÄTISCHE Gesamtverband (2022). Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen (Fassung vom 28./30.04.2022, gültig ab 01.07.2022). Zugriff am 04. 06.2025 unter www.bag-selbsthilfe.de/fileadmin/user_upload/_Informationen_fuer_SELBSTHILFE-AKTIVE/Unabhaengigkeit_der_Selbsthilfe/Leitsaetze_2022.pdf

Bundesgesetzblatt (2013). Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten vom 20.02.2013. BGBl. I(9), S. 277.

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Dierks, M.-L. & Kofahl, C. (2019). Die Rolle der gemeinschaftlichen Selbsthilfe in der Weiterentwicklung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 62(1), 17–25.

Dierks, M.-L., Seidel, G., Horch, K. & Schwartz, F. W. (2006). Bürger- und Patientenorientierung im Gesundheitswesen. Robert Koch-Institut (Hrsg.), Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 32. Berlin.

Forsa (2016). Forsa-Studie Selbsthilfe: Umfrage im Auftrag der DAK.

Forschungsverbund Laienpotential, Patientenaktivierung und Gesundheitsselbsthilfe (Hrsg.) (1987). Gesundheitsselbsthilfe und professionelle Dienstleistungen. Springer.

Gaber, E. & Hundertmark-Mayser, J. (2005). Gesundheitsbezogene Selbsthilfegruppen – Beteiligung und Informiertheit in Deutschland. Ergebnisse des Telefonischen Gesundheitssurveys 2003. Gesundheitswesen67, 620–629.

GKV-Spitzenverband. (2022). Leitfaden zur Selbsthilfeförderung. Zugriff am 04.06.2025 unter www.gkv-spitzenverband.de/krankenversicherung/praevention_selbsthilfe_beratung/selbsthilfe/selbsthilfe.jsp

Hundertmark-Mayser, J., Möller, B., Balke, K. & Thiel, W. (2004). Selbsthilfe im Gesundheitsbereich. Robert Koch-Institut (Hrsg.). Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 23. Berlin.

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Kofahl, C., Haack, M., Nickel, S. & Dierks, M.-L. (Hrsg.) (2019). Wirkungen der gemeinschaftlichen Selbsthilfe. LIT Verlag.

Kofahl, C., Schulz-Nieswandt, F. & Dierks, M.-L. (Hrsg.) (2016). Selbsthilfe und Selbsthilfeunterstützung in Deutschland. LIT Verlag.

Lüdecke, D., Mnich, E., Melchiorre, G. M. & Kofahl, C. (2006). Familiale Pflege älterer Menschen in Europa unter einer Geschlechterperspektive. Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien, 2 & 3, 85–101.

Moeller, M. L., Daum, K.-W. & Matzat, J. (1994). Psychologisch-Therapeutische Selbsthilfegruppen. Kohlhammer.

NAKOS (2025a). Selbsthilfeförderung. Zugriff am 04.06.2025 unter www.nakos.de/informationen/Zahlen_und_Fakten/Selbsthilfefoerderung

NAKOS (2025b). Verbreitung von Selbsthilfegruppen. Zugriff am 17.06.2025 unter https://www.nakos.de/informationen/fachwissen/deutschland/key@4227

Nickel, S., Bremer, K., Dierks, M.-L., Haack, M., Schwinn, S., Borgetto, B. & Kofahl, C. (2020). Digitalisierung in der gesundheitlichen Selbsthilfe – Ergebnisse einer Online-Umfrage bei Selbsthilfeorganisationen. In Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen (Hrsg.), Selbsthilfegruppenjahrbuch 2020 (S. 142–152). Berlin.

Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (Hrsg.) (2002). Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit (Band I, Gutachten 2000/2001). Nomos Verlagsgesellschaft.

Schulz-Nieswandt, F. & Langenhorst, F. (2015). Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland. Zu Genealogie, Gestalt, Gestaltwandel und Wirkkreisen solidargemeinschaftlicher Gegenseitigkeitshilfegruppen und der Selbsthilfeorganisationen. Duncker & Humblot.

Trojan, A. (2019). Selbsthilfefreundlichkeit in ambulanter, stationärer und rehabilitativer Versorgung. Wird die Kooperation mit der Selbsthilfe in Qualitätsmanagementsystemen berücksichtigt? Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 62(1), 40–48.

Trojan, A., Bellwinkel, M., Bobzien, M., Kofahl, C. & Nickel, S. (Hrsg.) (2012). Selbsthilfefreundlichkeit im Gesundheitswesen. Wie sich selbsthilfebezogene Patientenorientierung systematisch entwickeln und verankern lässt. Wirtschaftsverlag NW.

Internetadressen:

Allianz chronischer seltener Erkrankungen: www.achse-online.de

Beauftragter der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten: www.patientenbeauftragter.de

Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe: www.bag-selbsthilfe.de

Dachverband von Eltern-Initiativen und chronisch kranken und behinderten Kindern und Jugendlichen: www.kindernetzwerk.de

Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V.: www.dag-shg.de

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS): www.dhs.de

Gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland: www.uke.de/shild

Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen: www.nakos.de

Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen: www.selbsthilfefreundlichkeit.de

Verweise:

Anwaltschaft - Vertretung und Durchsetzung gesundheitlicher Interessen, Empowerment/Befähigung, Gesundheitskompetenz / Health Literacy, Gesundheitskonferenzen, Partizipation: Mitentscheidung der Bürgerinnen und Bürger, Qualitätssicherung, Qualitätsentwicklung, Qualitätsmanagement, Sozialraum- und Gemeindeorientierung in der Gesundheitsförderung